Die Regionale Leitplanung wird nun in ganz Niederösterreich ausgerollt. Dabei setzen sich die 573 Bürgermeister des Landes in 20 parallel laufenden Prozessen mit führenden Raumordnungs-Experten des Landes in mehreren Arbeitsrunden an den Tisch…

Werner Pracherstorfer (Leiter Gruppe Raumordnung im Land NÖ), LHStv Stephan Pernkopf, Sibylla Zech (TU Wien), NÖ Gemeindebund-Präsident Johannes Pressl und Thomas Knoll (Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Landschaftsarchitektur) bei der PK zur Ausrollung der Regionalen Leitplanung.

Den Auswirkungen des Klimawandels entgegenwirken und Bodenversiegelung verringern. Soweit die grob formulierte Strategie der im Zehnjahreszeitraum stattfindenden Sitzung der Österreichischen Raumordnungskonferenz, die Ende Oktober in Wien definiert und beschlossen wurde.

Am selben Tag – am 20. Oktober 2021 – ebenfalls in Wien, stand ein ähnliches Thema mit Niederösterreich-Blickpunkt auf dem Programm. Ausrollung der Leitplanung, Schutz von Böden, nachhaltige Raumordnung, trotzdem Flächenwidmung als Gestaltungselement für die Gemeinden sichern. Alles Schlagworte, die beim Bürger vermeintlich zu wenig Interesse führen könnten…, wie es Thomas Knoll formulierte.: „Raumordnung ist nicht wahnsinnig sexy, aber es ist eines der wichtigsten Themen, um die großen Fragen unserer Zeit zu beantworten, die wir im räumlichen Sinne haben“, so der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Landschaftsarchitektur (Thomas Knoll). Und tatsächlich war das mediale Echo zu dieser PK mit LH-Stellvertreter Stephan Pernkopf, NÖ Gemeindebund-Präsident Johannes Pressl, Landschaftsarchitektur Präsident Thomas Knoll und Professorin Sibylla Zech enorm.

Kein Wunder, schließlich ging und geht es im Zuge der Ausrollung der Regionalen Leitplanung um das laut Pernkopfgrößte Regionalplanungsprojekt in der Geschichte unseres Bundeslandes.“ Die Planung erfolgt vor den Fragen: Wo steht der Schutz der Böden im Vordergrund? Wo sollen Betriebsgebiete besser nur mehr interkommunal entstehen? Wo sind Impulse notwendig und wo überfordern Entwicklungen jetzt schon eine Region?

Gehen „aktiv in den Diskussionsprozess“

Seit April legen Gemeinden im Bezirk Bruck an der Leitha – einer von drei Pilotregionen – selbst die gemeinsamen Grundlagen dafür fest, was, wie und wo in ihrer Region zukünftig gebaut werden soll. Die gesammelten Ergebnisse werden dort bereits in ein gemeinsames Leitbild gegossen und jetzt wird das „Pilotprojekt“ auf das gesamte Bundesland ausgerollt. „Unser oberstes Ziel ist dabei, künftig weiterhin verantwortungsvoll mit den zur Verfügung stehenden Flächen umzugehen, aber gleichzeitig auch Entwicklungen der Gemeinden weiterhin zu ermöglichen. Deshalb gehen wir auch sehr aktiv in den internen Diskussionsprozess mit den 573 Bürgermeistern und den Raumordnungsexperten des Landes Niederösterreich.“ motiviert NÖ Gemeindebund-Präsident Bgm. Pressl die Kolleginnen und Kollegen zum Mittun!

Die Gewichtung, was wo notwendig ist und Sinn macht, soll laut LH-Stv. Pernkopf in jeder Region unterschiedlich sein: „Manche Regionen brauchen mehr Steuerung und Grenzen des Wachstums. In den ländlichen Räumen geht es vielmehr darum, Impulse für die Regionalentwicklung zu setzen.

Ungenutzte Baulandflächen und auch Leerstände wieder bewohnen

Der NÖ Gemeindebund-Präsident stellt im Zuge der PK nochmals klar, dass die Raumordnungskompetenz bei den Gemeinden liegt. „Die lassen wir uns als wichtigstes Entwicklungsinstrument für unsere Kommunen auch nicht wegnehmen, bekennen uns aber selbstverständlich zu einem behutsamen Umgang mit Grund und Boden.“ Und da gehört für Pressl auch ein ehrlicherer Umgang mit den Zahlen dazu: „Wenn wir über Bodenverbrauch reden, dann bitte mit einheitlichem Datenmaterial und nicht mit Zahlen, die sich jeder für seine Interessen zurechtlegt.“ fordert er auch einen Diskurs und Transparenz darüber. „Und wir brauchen auch sinnvolle und intelligente Instrumente, um lange schon gewidmetes und nicht verfügbares Bauland zu mobilisieren oder Leerstände zu aktivieren. Schließlich muss es doch auch der nächsten Generation möglich sein, sich ihr Eigentum in ihrem Heimatort zu schaffen.“ Und das müsse ja nicht immer nur ein Neubau sein, sondern könne auch ein Umbau eines Althauses oder der Zubau bei den Eltern sein, so der NÖ Gemeindebund-Präsident. Aber genau da verspricht sich Pressl viel vom Diskussionsprozess zur regionalen Leitplanung: „Besitz von Bauland und Immobilien waren immer schon mit großer Verantwortung für sich, das Umfeld und die nächste Generation verbunden. Ich bin sicher, dass wir mit der regionalen Leitplanung auch die Logik einiger, die das Grundbuch gerade als Sparbuch missverstehen, durchbrechen können.“ Raumordnung sei ein „Long-Run-Thema“, das in keinem Fall der kurzfristigen tagespolitischen Auseinandersetzung geopfert werden dürfe aber umso mehr unsere Aufmerksamkeit und Aktivität als Bürgermeister brauche, so Pressl.

Verknüpfung von Raumordnung und Regionalentwicklung

Dass der Link von der Raumplanung zu verschieden Themen wie etwa dem Freizeittourismus im internationalen Vergleich sehr ungewöhnlich ist, weiß die renommierte österreichische Raumplanerin Sibylla Zech von der TU Wien: „Dass die Verknüpfung von Raumordnung und Regionalentwicklung so intensiv und strukturiert funktioniert ist ein sehr spannender Ansatz, den man hier in Niederösterreich fährt. Das passt zur Zielsetzung der ÖROK-Konferenz. Die Themen sind die gleichen, aber man muss regional unterschiedlich damit umgehen. An der Stadtgrenze zu Wien sind die Herausforderungen anders als im Weinviertel, im Mostviertel ist es anders, als im Industrieviertel.“ Es braucht ein ausgewogenes, an Diversität der einzelnen Regionen achtendes Maß, damit auch der ländliche Raum in Zukunft Entwicklungschancen hat. Und vor allem braucht es hierbei regionalen Zusammenhalt.

Ein beispielhafter Schulterschluss: Waldviertler 15-Punkte-Plan

Das Waldviertel geht seit einiger Zeit schon in genau diese Richtung: Der Verein „Interkomm Waldviertel“ wurde 1999 zur Förderung kommunaler Zusammenarbeit geschaffen. Ziel des Vereins ist der Erfahrungsaustausch zwischen den über 100 Mitgliedsgemeinden, die gemeinsame Nutzung von Wissen und Ressourcen sowie die Erarbeitung und Umsetzung von Projekten, von denen die Waldviertler Region profitiert. Projekte wie eben die Regionale Leitplanung: Der Verein hat im Zuge einer intensiven Arbeitstagung mit Gemeindechefs aus allen Waldviertler Bezirken 15 Leitsätze formuliert, welche in den Arbeitsprozess zur regionalen Leitplanung eingebracht werden. Diese wurden in der „Waldviertler Erklärung“ zusammengefasst und allen Waldviertler Gemeinden zur Verfügung gestellt.

Ziele des Vereins Interkomm Waldviertel sind der Erfahrungsaustausch zwischen den Gemeinden, die gemeinsame Nutzung von Wissen und Ressourcen sowie die Erarbeitung und Umsetzung von Projekten, von denen Gemeinden und Regionen in vielerlei Hinsicht profitieren.

Nur gemeinsam, in Partnerschaft zwischen Land und den autonomen Gemeinden bietet sich die Chance, regionsgerechte Rahmenbedingungen zu definieren, die im Gesetz verordnet werden. Nur so kann vernünftig gesteuert werden. Schließlich wollen wir unsere Entwicklungspotenziale künftig nutzen können und ebenso unseren Beitrag zum Bodenschutz leisten“, erklärt Obmann und Großschönaus Bürgermeister Martin Bruckner den Ansatz der Erklärung, die von über 103 Bürgermeistern des Waldviertels unterfertigt wurde.

Zu den 15 Punkten gehören sowohl das mittelfristige Ziel eines leichten Bevölkerungswachstums als auch die Forderung, auch künftig in allen Dörfern den ortsansässigen Menschen die Möglichkeit zu geben, Wohnraum zu schaffen und wirtschaftlich aktiv zu sein.

Die Waldviertler Erklärung ist ein sinnvolles, vorausschauendes und vor allem einheitliches Vorzeigeprojekt, das die partnerschaftliche Entwicklung einer ganzen Region vorantreibt und die Lebensqualität des gesamten Waldviertels auf lange Sicht sichern wird. Und sie ist zudem ein klares Bekenntnis zur Verantwortung der Bürgermeister für die Entwicklung ihrer Gemeinden und der gesamten Region“, ist auch Pressl von der koordinierten Vorgangsweise begeistert.  

Neben den Bürgermeistern der Region stehen auch Vertreter des Wirtschaftsraums, des Regionalen Entwicklungsverbandes und der LEADER Regionen hinter der Erklärung, die bereits an die Vertreter des Landes überreicht und erläutert wurde.

15-Punkte-Plan des Waldviertels:

  1. Der verantwortungsvolle Umgang mit dem Boden und der damit verbundenen Versiegelung ist auch für ländliche Regionen wie dem Waldviertel ein Grundprinzip der kommunalen und regionalen Entwicklung und ein Schlüsselthema für unseren Wohn- und Wirtschaftsstandort.
  2. Aber der ländliche Raum darf nicht darüber hinaus erneut zur „Ausgleichsmasse“ werden.
  3. Zukunft neu denken! Bei der Zukunftsplanung sind für das Handeln die angestrebten künftigen gesellschaftlichen Entwicklungen bestimmend, nicht der Blick in den demografischen Rückspiegel. Die strategischen Entwicklungsziele des Waldviertels sind gleichwertig zu beachten wie die Handlungsfelder der Landesstrategie.
  4. Die alte Größe als Zielvorgabe. Um die vorhandene Infrastruktur und das Potential der Region zeitgemäß zu nutzen, benötigen wir eine Raumplanung, welche von 10% Bevölkerungswachstum in den nächsten 10 Jahren ausgeht und nicht die Fortschreibung der bisherigen Entwicklung als Grundlage der Planung annimmt.
  5. Die Dynamik des Bodenverbrauchs darf nicht nur nach vorne betrachtet werden. Im Vergleich von Stadt-Land ist es fair, den Bodenverbrauch der letzten Jahrzehnte ebenso in eine Gesamtbilanz einzubeziehen wie die entsiegelten Flächen des Truppenübungsplatzes und die nicht gebaute Autobahn. Es bedarf weiters einer Gesamtflächenbilanz des Waldviertels, als eine regionale Betrachtung, ergänzend zum „Bezirksblick“.
  6. Für eine nachhaltige und bodenschonende Widmungspolitik benötigen wir Instrumente zur Mobilisierung von leerstehenden Liegenschaften und bereits gewidmeten – aber nicht verfügbaren – Bauland zur Belebung der Ortskerne und suchen dafür eine gemeinsame Vorgehensweise.
  7. Es ist uns bewusst, dass beim Flächenbedarf den Gemeinde-Verkehrsflächen eine besondere Bedeutung zukommt. Mit einer möglichst kompakten Dimensionierung und einer umsichtigen Stellplatz-, Gehwege- und Randflächengestaltung können wir die Versiegelung maßgeblich reduzieren. Dazu braucht es neben dem Bekenntnis der Gemeinden auch eine Änderung des gesetzlichen Rahmens.
  8. Grundstücksgrößen sind ein Standortvorteil für die ländlichen Regionen. Grundstücksgrößen sind daher an Orte/Siedlungseinheiten anzupassen. Im ländlichen Raum gibt es den starken Wunsch, das Wohnen auch mit Selbst- und Eigenversorgung zu kombinieren, was größere Baugründe erfordert.
  9. Eine prozentuelle Begrenzung des Versiegelungsanteils am Baugrund ist eine Empfehlung. Mittels eines Bebauungsplans kann die max. Versieglungsdichte auf Grundstücken, je nach Nutzungsfunktionen, durch die einzelne Gemeinde festgelegt werden.
  10. Die Festlegung von Siedlungsgrenzen hat im ländlichen Bereich keine Schutzfunktion betreffend Überhitzung der Räume und birgt die Gefahr von Grundstücksspekulation. Sie kann jedoch auch ein gutes Steuerungsinstrument sein, um Flächen und Ressourcen für künftige Generationen zu schützen. Die Entscheidungshoheit, dieses Planungsinstrument einzusetzen, muss der Gemeinde obliegen.
  11. Insgesamt benötigt es einer höchstmöglichen Flexibilität bei den Steuerungs- & Planungsinstrumenten, um die Verwirklichung von persönlichen ortsverbundenen Biografien und Unternehmensbiografien zu ermöglichen. Was wir zusätzlich anstreben sind moderne Steuerungsinstrumente zur Leerstands- & Baulandmobilisierung, insbesondere für die Innenentwicklung.
  12. Gemeinsam forcieren wir interkommunale Betriebsstandorte und berücksichtigen dabei bestehende Vorarbeiten. Wir sehen aber auch die Notwendigkeit der Erweiterungsmöglichkeiten von Bestandsunternehmen in deren Standortgemeinden.
  13. Es gilt zur Erreichung der Entwicklungsziele eine leistungsfähige Daseinsvorsorge zu sichern. Ohne regionale Disparitäten unter Berücksichtigung der künftigen Anforderungen an eine passfähige und zeitgemäße Infrastruktur.
  14. Im Rahmen des Planungsprozesses der Regionalen Leitplanung erwarten wir valide Zahlen über tatsächlich verbaute/versiegelte Flächen. Klare Leerstandsdefinition und klare Definition der verwendeten Begrifflichkeiten und Erklärungen bzw. Darstellung der Auswirkungen der Vorgaben. (Bsp. Was bedeutet konkret „moderate Entwicklung ist möglich“)
  15. Es braucht das Festlegen einer verpflichtenden Evaluierung und von Überarbeitungszeiträumen in der Verordnung zu Leitplanungen.